Wie die Passionsspiele in Oberammergau: Der Handke-Biograf Malte Herwig regt an, “Immer noch Sturm” regelmäßig als Open Air auf dem Jaunfeld zu spielen
KLEINE ZEITUNG: Sie haben die Aufführung so aufmerksam verfolgt – bedauern Sie, dass Sie nicht auch als Kritiker bei “Immer noch Sturm” waren?
MALTE HERWIG: Bedauern? Nein, ich bin ja kein leitender Angestellter der Handke-Industrie. Ich habe den Text von Peter Handke als erster Kritiker vor einem Jahr in der “Zeit” besprochen. Die Biografie war meine private Entscheidung und eine sehr schöne Arbeit. Bedauern würde ich, nicht zur Aufführung gegangen zu sein. Sie war zu lang, das ist klar. Man hätte kürzen müssen, vor allem den Monolog am Ende. Aber ansonsten fand ich sie sehr gut, eine wundervolle Hommage mit wundervollen Darstellern. Dass Peter Handke zum Schlussapplaus auf die Bühne kam, war wie ein Ritterschlag für die Inszenierung von Dimiter Gotscheff.
Peter Handke greift in seinem Stück Kärntner Geschichte auf, zeigt die Slowenen als Verlierer, geht auf die Leistung der Kärntner Partisanen ein. Der Monolog am Ende klingt phasenweise wie eine Regierungserklärung.
HERWIG: Ich glaube, dass das Tragische am öffentlichen Schriftsteller Peter Handke wäre, wenn so etwas wie sein Besuch beim Begräbnis von Milosevic cdazu führt, dass jeder Kolumnist aufschreit und ihn niederschimpft. Wenn er aber ins schwarze Herz der österreichischen Geschichtsvergessenheit zielt, klatschen die Leute beifällig, lassen die politische Botschaft aber an sich vorbeigehen. Ich glaube, mit diesem Stück zielt Handke auch in dieses politische schwarze Herz. Deswegen fand ich den Aufführungsort nicht ideal. Es hätte entweder das Burgtheater sein müssen, in der Hauptstadt von Österreich, dem Zentrum. Oder das Jaunfeld. Aber Thomas Oberender hat dem Stück mit einem tollen Rahmenprogramm das bestmögliche Exil in Salzburg geschaffen. Mich würde sehr interessieren, wie die Reaktion in Kärnten ist.
Sie finden also: Das Stück muss in Kärnten gezeigt werden.
HERWIG: Auf jeden Fall. Es ist ein großes Kärntner Volksstück, wenn ich das als Deutscher so sagen darf. Mir hat es Kärnten sehr nahe gebracht. Es ist ein großes Stück über das Wesen und das Schicksal der Menschen hier, für mich ein historisch-politisches Gegenstück zu “Wunschloses Unglück”, das als eine Art Hausbuch der Kärntner gilt. Das ist das Stück der Kärntner. Ich würde eine Open Air Bühne ins Jaunfeld stellen und “Immer noch Sturm” regelmäßig aufführen. Wie die Passionsspiele in Oberammergau.
Ein reizvoller Gedanke. Handke wird nächstes Jahr 70. Das Land Kärnten könnte sich also in diese Richtung etwas anstrengen.
HERWIG: Es wird ja auch langsam Zeit, dass bei Suhrkamp die erste Ausgabe mit gesammelten Werken herauskommt. “Immer noch Sturm” ist Handkes großes Altersstück, fast eine Art “Faust II”. Ein Mythenspiel, das aus der Perspektive des Alters auf die wichtigsten Texte von Handkes Werk zurückgreift, Lebensthemen anklingen lässt. Auf die “Hornissen”, wo der verlorene Onkel Gregor vorkommt, auf die Tiraden der “Publikumsbeschimpfung”. Es erinnert auch an “Über die Dörfer”, wo sich der großstädtische Dichter Peter Handke eingefügt hat in die Landbevölkerung. Dann der Apfelmythos, der von der “Wiederholung” bis in die “Morawische Nacht” weiterentwickelt wird. Die Zitate aus der “Stunde, in der wir nichts voneinander wussten”. Es hat eine lange Entstehungszeit, mindestens zehn Jahre, in denen sich Handke immer wieder mit Kärntner Partisanen getroffen hat.
Sie haben auch Peter Handkes Arbeitsexemplar von Prunik- Gaspers “Gemsen auf der Lawine” gesehen?
HERWIG: Genau. Dieses Buch war die Hauptquelle, es ist voller Anreichungen, Randbemerkungen, einmal steht sogar da “Gute Prosa!”. Handke hat sich intensiv damit beschäftigt. Er gilt in der Öffentlichkeit ja als wandernder Dichter, der in die Natur geht, beobachtet, aufschreibt – das ist natürlich richtig. Aber hier hat er auch intensiv studiert und exzerpiert, er hat das Buch mehrmals gelesen, oft steht am Rand S. S., die Abkürzung für “Storm Still”, wie der Arbeitstitel von “Immer noch Sturm” lautete. Handke hat teilweise wörtliche Formulieren und Szenen übernommen. Etwa die Szene, wo das “Ich” die Hände der Mutter hält. Ein anderes Beispiel, da heißt es: “Ohne Partisaneneinheit wäre Kärnten wie ein Apfel, den der Bauer unter dem Baum verfaulen lässt”. Das ist eine Formulierung aus einem Partisanenbrief, der bei Prunik zitiert wird, das passt genau in Handkes große Apfelmythologie.
Eingearbeitet hat Handke auch die Feldpostbriefe seiner Onkeln. Das, entnimmt man der Biografie, ist auch Ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken.
HERWIG: Naja, vielleicht indirekt ein bisschen. Ich habe im Zuge meiner Recherchen auch Handkes Onkel Georg Siutz im hohen Alter kennengelernt, der im Stück als Valentin auftritt. In dessen Keller tauchten dann die Feldpostbriefe auf. Durch diesen glücklichen Zufall hat Handke sie wieder lesen können und zum Teil noch wörtlich in das Stück eingebaut.
Und Handkes Vater?
HERWIG: Der wird im Stück zwar nur am Rande erwähnt, spielt aber eine wichtige Rolle, Handke verflucht sich ja in der Person des “Ich” immer wieder selbst. Es heißt “Verflucht sei der Liebeswurm in deinem Liebesbauch”. Warum? Weil der Vater ein Deutscher ist; die Mutter begeht den Verrat mit einem Reichsdeutschen ein Kind zu zeugen. Das Dramatische ist ja, dass Handkes Vaters nicht nur Wehrmachtssoldat gewesen ist, das waren die Onkel auch. Der Unterschied ist, dass er bei der NSDAP war. Meine Nachforschungen ergaben, dass Erich Schönemann bereits am 1. 5. 1933 in die NSDAP eingetreten ist. Er war ein klassischer Opportunist, der sofort nach der Machtergreifung Hitlers in die Partei eingetreten ist, sehr eilig. Das darf man nicht vergessen, wenn man den Zwiespalt sieht zwischen Kärntner Slowenen, einer erdichteten Partisanenfamilie und einer Schwester, die sich mit einem NSDAP-Mitglied einlässt. Peter Handke ist eben kein Weihepriester des L’art pour l’art, der durch die Kärntner Landschaft spaziert und sich nur was ausdenkt. Sein Jaunfeld ist kein künstliches Paradies. Er steht mit den Füßen auf der Erde, und mit dem Kopf manchmal in den Wolken.
Einblicke in Handkes Welt im Rahmenprogramm der Salzburger Festspiele: Donnerstag, 19.30 Uhr u. a. mit Malte Herwig (Edmundsburg auf dem Mönchsberg)
NTERVIEW: USCHI LOIGGE. Erschienen in Kleine Zeitung, 18. August 2011